Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen

Veranstalter
Gedenkstätte Sachsenhausen (10453)
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10453
Ort
Oranienburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.08.2006 - 28.10.2006

Publikation(en)

: Gedenkstätte Sachsenhausen (Hrsg.): Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen. Bilder aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten. Bilder aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten. Berlin 2006 : Metropol Verlag, ISBN 3-9386-9036-4 € 22,43
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sandra Starke

Fotos der SS dokumentieren nicht. Schlecht vorzuwerfen ist daher der Ausstellung „Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen. Bilder aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten“, dass die dort gezeigten Fotos einige Ausschnitte der Realität abbilden, andere jedoch nicht. Sie zeigen ein geordnetes und sauberes Lager mit gefügigen Häftlingen, erträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Maßnahmen für die „Umerziehung“ der Häftlinge; eine Zielsetzung, die das Lagersystem nach außen rechtfertigen sollte. Die originalen Bildunterschriften, die in der Ausstellung zwischen dem 27. August und dem 28. Oktober 2006 zu sehen waren, untermalen das pädagogische Programm: „Singstunde“, „Antreten zum Sonntagsspaziergang“, „Die Häftlinge sind zum Appell angetreten“, „Die Häftlinge hören den 1. Mai im Radio“ oder „Körperschulungen“. Häftlingsarbeit war ein Teil der Umerziehungsmaßnahmen. Die Bildunterschriften dröhnen daher: „Laufschritt, sonst gibt’s Dunst! Da heißt es anfassen!! und bei abessinischer Hitze eine schöne Arbeit für BVer.“ Ein Insasse wird in rassekundlicher Absicht als Ganzkörperportrait sowie im Profil fotografiert. Die Bildunterschrift: „anscheinend ‚Jude’“ verweist auf den Zweck der Aufnahme, die Zurschaustellung vermeintlicher rassischer Kriterien und damit den Ausschluss aus dem NS-„Volkskörper“.

Die Bilder der Ausstellung machen diese Inszenierung aus der abwertenden Perspektive der SS auf die Häftlinge deutlich, zeigen aber kaum die Erlebnisse der Fotografierten. Gewalt und Gestank, Tod, Kälte, Hundegebell und die scharfen Befehle der SS gehörten zur Realität der Insassen, bleiben auf diesen Fotos aber unsichtbar. Umso präsenter ist die Perspektive der SS auf sich selbst. Die blanken Stiefel und die geraden Rücken sowie die Lässigkeit von Herren, die sich ihrer Allmacht bewusst sind. Kameraderie bei der „Dampferfahrt der SS-Wachtruppe nach Potsdam“ und Prominenz sowie Sendungsbewusstsein bei der „Führerbesprechung“. Auch Märtyrertum und Symbolik finden visuellen Ausdruck. Vereinzelt nur sind SS und Insassen auf einem Bild gemeinsam zu sehen. Auf einem Foto etwa kniet ein kahlgeschorener Häftling mit Blick zum Boden zwischen vier Uniformierten, die ihre Arme in die Seiten stemmen, einer davon grinst. Die nächsten Sekunden liegen allein in der Vorstellung des Betrachters. Die Gleichzeitigkeit von Zeigen und Verbergen gehört zu den genuinen Eigenschaften des Mediums Fotografie.

Mit ihrer Ausstellung „Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen. Bilder aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten“ unternimmt die Gedenkstätte Sachsenhausen einen ersten umfassenden Versuch, die Täterperspektive anhand von Fotografien auszustellen. Am Beispiel der Präsentation des außergewöhnlichen Quellenfundes lassen sich verschiedene mediale Bedingungen und der Umgang mit der Fotografie aus der Perspektive der Lager-SS problematisieren. Die Frage der Perspektivität und der Parteilichkeit der Fotos an die Besucher vermittelt zu haben ist zweifelsohne ein Erfolg der Ausstellung. Unbehagen und Misstrauen gegenüber SS-Fotos sind dabei angebracht und sollten den medienkritischen Umgang mit Fotografien schärfen.

In der Sonderausstellung eines Fotoalbums des KZ-Kommandanten Karl Otto Koch stellen die Ausstellungsmacher einer Auswahl von etwa 200 präsentierten Fotos Zitate von ehemaligen Häftlingen gegenüber. Diese sollen die Botschaften der Fotos inhaltlich konterkarieren, in einigen Fällen aber auch nur korrigieren. So wird beispielsweise die Feststellung einer originalen Bildbeschriftung „Jeden Tag eine fertige Baracke im neuen K.L. Sh.“ durch ein Häftlingszitat ergänzt, aus dem hervorgeht, dass der Aufbau einer Baracke mindestens drei Tage gedauert habe. Dies ist jedoch nicht nur eine äußerst schwache Gegenrede, sondern auch eine bedauerliche Unterschätzung der suggestiven und emotionalen Kraft sowie der hohen Glaubwürdigkeit visueller Medien. Gerade solche Details prägen die Lesart der Fotos mit. Dort, wo die Zitate nicht als inhaltliche Korrektur, sondern als atmosphärisch dichte Schilderung eingesetzt werden, funktionieren sie als spürbares Gegengewicht. Ein inneres Bild, dass nicht deckungsgleich mit dem gezeigten Foto sein kann, durch Text zu erzeugen, muss die Aufgabe der Zitate und auch der Ausstellungstexte sein. In mindestens einem Fall jedoch wird die von der SS gewünschte Bildwirkung durch den Ausstellungstext weiter gestützt. Zu der Originalbildunterschrift: „Nach dem Dienst“ fügen die Ausstellungsmacher hinzu: „Diese Fotos zeigen ein Stück Normalität der Wachmannschaften, die fernab der eingesperrten ‚Feinde’ lag. Umrahmt von schönen Landschaftsbildern der Sächsischen Schweiz zeigen sie die Freizeit der SS-Männer ‚Nach dem Dienst’. Die Männer genießen die wunderschöne Landschaft wie einst die Gäste der Jugendherberge.“ Ist es aber nicht vielmehr so, dass die SS-Angehörigen die wunderschöne Landschaft genießen, es aber ebenso zu ihrer Normalität gehört, die Insassen des KZ-Hohnstein als „Volksschädlinge“ zu verabscheuen? Auch die durch Häftlingszitate vielfach belegten schlechten Lebensbedingungen in den KZs Hohnstein, Sachsenburg, Columbia, Esterwegen und Sachsenhausen werden im dienstlichen Fotoalbum ihres Kommandanten Karl Otto Koch kaum thematisiert. Die Funktion der Zitate, sich den Fotos „entgegenzustellen“, wie die Ausstellungsmacher versprachen, ist in einigen Konstellationen leider nicht nachvollziehbar. Daran ändern auch die Hörstationen mit Häftlingsberichten und zugehörigen Biographien in der Raummitte nichts.

Das Spezifische dieses fotografischen Blicks der Konzentrationslager-SS wurde in der Ausstellung nicht ausreichend deutlich gemacht. Gern werden die Fotos genutzt, um den interessanten Aufstieg und Fall von Karl Otto Koch zu illustrieren. Nach traditionellem Verständnis werden die Bilder zu stark als Dokumentation der frühen Phase der KZs in Deutschland benutzt, ergänzt durch den Hinweis, dass die Realität der Lebensbedingungen von Häftlingen schlechter war als hier dargestellt. Der missverständliche Anspruch jedoch, die Fotos mögen dies alles zeigen, da sie objektives Dokument und Beweis sind, bleibt bestehen.

Der Ausstellung fehlt eine tiefe quellenkritische Auseinandersetzung ebenso wie eine fotohistorische Kontextualisierung der Medien Fotografie und Fotoalbum. Leider darf das Originalalbum aufgrund des Konfliktes um „Beutekunst“ zwischen Russland und Deutschland nicht gezeigt werden. Zwar werden alle Seiten des Albums auf einem Bildschirm präsentiert, so dass das virtuelle Blättern im Album ermöglicht wird. Aber die Zusammenstellung der Fotos, ihre Abfolge und die maschinengeschriebenen Bildunterschriften bleiben völlig unkommentiert. Das im Archiv des Förderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Förderation aufgefundene Album ist nur in einzelnen Seiten und ohne den Einband zu sehen. Die erste Albumseite ist folgendermaßen beschriftet: „Vom SS Obersturmbannführer Koch gesammelt, in der Zeit von Mai 1933 bis Juni 1937.“ Wie die Ausstellungsmacher zu der Vermutung kommen, das Album sei Koch zu dessen 40. Geburtstag geschenkt worden, bleibt ungeklärt. Seinen Geburtstag im August 1937 feierte Koch bereits als Lagerkommandant des im Aufbau befindlichen KZ Buchenwald. Das Geschenk sei durch die Initiative eines engen Vertrauten Kochs, Gotthold Michael, entstanden, wird aus ungenannter Quelle gemutmaßt. Dass Koch später nachweislich selbst als begeisterter Amateur fotografierte, bleibt unerwähnt. Es lassen sich in der Ausstellung überhaupt kaum Hinweise auf Fotografen und deren Motivation, auf den Entstehungs- und den Verwendungszusammenhang oder die Überlieferung finden. Hoffentlich kann der noch zu erwartende Katalog mit mehr als 200 Abbildungen und Beiträgen qualifizierter Wissenschaftler in dieser Hinsicht Aufklärung bieten.

Die Annäherung an das Album, an seine unterschiedliche Materialität, Qualität, Bildsprache, Gestaltung und Größe der Abzüge, wird durch die einheitlichen Reproduktionen von 18 x 24 cm verstellt. Neben schnellen Knipserbildern und bewusster ästhetischer Bildgestaltung finden sich darin auch touristische Motive oder eine Ansichtskarte. Nur die maschinengeschriebenen Kommentierungen sind aus einer Hand. Soweit Hinweise in den Bildern sichtbar sind, werden sie kommentarlos übergangen. Auf der letzten Albumseite findet sich ein mit „Tagesraum in einer Häftlingsbaracke“ beschriftetes Foto. Neben dem sichtbar kleinen Ofen, der, wie uns die Ausstellungsmacher versichern, zu klein sei, um die Baracke zu heizen, finden sich noch andere interessante Details. Links im Hintergrund befindet sich ein von der Kamera abgewandter Lagerinsasse in Wartestellung, scheinbar völlig zufällig und unbeteiligt an der fotografischen Situation. Auf einem Tisch im Bildvordergrund liegt eine SS-Schirmmütze, schnell verkehrt herum abgelegt, wie um nun ganz frei durch den Sucher der Kamera blicken zu können.

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